Cold Turkey mit Zuckerguss – Mini-me wird schnullerfrei
Sie ist ein großes Mädchen, dreht sich jeden Morgen vor dem Spiegel und blickt voller Stolz auf ihre Pünktchen- und Blümchen-Jeans, den schön geflochtenen Zopf, ihren dunklen Mantel („Du hast auch so einen, Mama?!!) und wählt mit Bedacht die Mütze oder das T-Shirt aus, was gerade ausgeführt werden soll. „Ich bin schon groß“, höre ich jeden Tag bestimmt an die 20 Mal. Gut, mit dem Alleine-Anziehen hapert es noch etwas, beim Mund abwischen bleiben 2/3 der Marmelade an der Wange kleben, und wenn es darum geht, sich die Hausschuhe anziehen zu müssen, mutiert sie plötzlich zum Baby. „Das kann ich nicht allein, das musst DU machen, Mama!“ Jaja, wenn Faulheit weh täte… Aber in der Tat, sie wird mit ihren fast 3 Jahren nun langsam „erwachsen“.
Gestern im Auto von Bekannten unterhielt sie sich mit ihrem Spielefreund Johannes, und ich drehte mich zu ihnen um, schließlich setzte Mini-me gerade an, etwas über mich zu erzählen: „Die Mama hat gesagt,…“, als sie stockte, mich ansah und voller Inbrunst meinte: „ICH erzähle dem ‘Hannes etwas!!“ Ich musste laut lachen, die kleine Madame verteidigte ihre Privatsphäre, und das zum ersten Mal. Schön!
Schon vor Wochen hatte sie ihre ganzen Nuckis eigenhändig und voller Überzeugung von sich aus in den Müll geworfen, die brauche sie nicht mehr, sie sei jetzt groß. Mr. L. und ich sahen uns nur an, fast beängstigt von so viel Sicherheit, mit der sie ihre Überzeugung vertrat, belustigt von so viel Niedlichkeit und auch besorgt, schließlich gewöhnt man sich das Rauchen ja auch nicht von heute auf morgen ab. Heimlich retteten wir das letzte Nucki vor dem Mülltod, schließlich sind wir seit fast drei Jahren ihre Dealer… Und selbstverständlich verlangte sie mit krähendem Geschrei todmüde beim Zubettgehen nach ihrem geliebten Verbündeten. Da wir der Ansicht waren, ihr den Mittagsschlaf zu streichen, damit sie abends leichte einschläft, sei sicher erst einmal genug der Umstellung, zauberten wir das gerettete Nucki hervor, und sie nuckelte sich friedlich in den Schlaf.
Allerdings zeigen auch Schnuller deutliche Gebrauchsspuren, benutzt man einzig und allein immer den selben. Vor ein paar Tagen zog ihn Mini-me im Bett aus ihrem Mund und starrte ihn angewidert an. „Das ist kaputt!“ Merke: Kind soll daran nur nuckeln, nicht beißen. Tatsächlich erinnerte das Ding eher an Schweizer Käse als ihren Lieblings-In-den-Schlaf-Helfer. „Put it in the bin, Daddy! – Please!“ (ein wenig hoheitsvolle Höflichkeit musste dann wohl doch sein). Puh, wir erklärten ihr mit Engelszungen, dass sie dann aber wirklich und tatsächlich kein anderes Nucki mehr habe (klar waren wir für den Notfall gerüstet, aber das muss man ja der „Abhängigen“ nicht auf das Näschen binden), aber sie war sich sicher und schlief zum ersten Mal ohne Nucki ein.
Dass sie früh (Gott sei dank erst am nächsten Morgen, puh!) aufwachte und nach ihrem Schnuller krähte, ist sicher selbstredend, aber da wir eh aufstehen mussten, tat es nichts zur Sache. Die nächsten beiden Abende war dann natürlich Cold Turkey angesagt, allerdings ein Cold Turkey mit Zuckerguss. Als sie bei ihrem Lieblingsdaddy eine „‘prise“, also eine Surprise, ein Mitbringsel für den nächsten Tag bestellte und dabei normalerweise um Sticker- und Magazine-Surprises verhandelt wird („You can`t have a magazine surprise everyday!“ „Please, Daddy!“ – und niemand sonst beherrscht die betörenden Blicke so grandios wie sie…), meinte sie voller Ernsthaftigkeit und mit hochgestrecktem Kopf mitten in Mr. L.‘s Gesicht hinein: „You have to get me a soother ‘prise, Daddy! – PLEASE!“ So unvermittelt, so voller Inbrunst, dass Mr. L. erst einmal losprustete und sie dann in den Arm nahm.
Gestern Abend im Bett meinte die kleine zauberhafte Sonne dann völlig aus dem Zusammenhang herausgerissen: „Ich brauche das Nucki nicht mehr, Mama.“ „Ich weiß, Du bist schon groß.“
Gut, das Einschlafen dauert jetzt wieder länger, nach dem Nucki wird sich selbstverständlich auch noch erkundigt, die Bücher nun noch exzessiver gelesen und selbst Dolly muss unbedingt noch in Mini-mes Bett umgezogen werden – aber das letzte Stück schaffen wir wohl auch noch. Ich habe nun eine große Tochter…