Fahrtwind um die Nase – eine Landpartie mit dem Rad

Ja, eine Radtour zu Freunden auf’s Land, das klang gut. Bevor Mini-me geboren wurde, haben wir das oft gemacht. Mr. L war ein Meister im Tourenplanen – er saß gefühlte Stunden davor und tüftelte mit seinem kleinen Fahrradtourenbuch unsere Sonntagspartien aus. Und ich hatte großen Spaß daran, schnell noch einen Salat für unser Picknick zu zaubern, die Piccolos einzutüten und diverse Mini-Salamis im Supermarkt gar feinschmeckerhaft in mein Einkaufskörbchen zu packen. Ja, irgendwie fühlte sich schon die Vorbereitungszeit ganz besonders an, bevor wir dann samt Picknickrucksack mit Gläsern und Geschirr loszogen. Selbstverständlich kam ich mir unsagbar sportlich vor, schließlich ist es durchaus eine Leistung, 15 Kilometer oder mehr (eine Strecke!) und das mal Zwei zurückzulegen, auch wenn die Gegend, in der wir leben, nicht umsonst als Tieflandbucht bezeichnet wird. Aber das Schlimmste sind wohl die ganz laaaangsam ansteigenden Wege  – tödlich. Davon gibt es sogar in der Stadt einige.

 

Mrs. Popsock

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Am letzten Sonntag waren wir zu Freunden auf`s Land eingeladen, die sich erst kürzlich in der Pampa (herrje ist das Wort negativ besetzt! Will sagen: Außerhalb der Stadt) ein Haus gekauft haben. Statt entspannt die S-Bahn zu nehmen, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, den Fahrtwind um die Nase endlich einmal wieder spüren zu wollen und vorgeschlagen, daraus einfach – wie früher – eine Landpartie mit dem Rad zu machen. Wie stellte ich mir das malerisch vor, mit dem Liebsten, Äpfelchen, Getränken und meiner Sonne im Gepäck gemütlich in die Idylle zu radeln! Hatten wir ja früher auch gemacht, konnte ja so schwer nicht sein. Die Äpfel waren schnell geschnitten, das Wasser im Fahrradkorb verstaut und ich war samt geblümter Sommerhose (das Outfit sollte auch auf dem Land die Passanten umhauen) und meiner Super-Sonnenbrille bereit, loszulegen. Einziges Problem: Wo fahren wir lang?

Noch am Abend zuvor sitzt Mr. L bis kurz vor eins am Rechner, studiert das Internet nach passenden Routen, macht sich Notizen (hatte ich erwähnt, dass er Geisteswissenschaftler ist?), um  vorbereitet zu sein. Verständlich, bin ich schließlich, seit ich denken kann, das wohl orientierungsloseste Wesen. Hätte ich nicht wenigstens ein funktionierendes Gedächtnis, würde ich wohl täglich den Weg in die Stadt oder auf Arbeit googlen. Andererseits geht mir so viel Recherche und Planung ganz einfach tierisch auf die Nerven. “Willst du noch eine Skizze machen?“, schlage ich dann mit zugegeben eher weniger nettem Unterton vor. Irgendwo werden wir schon landen… Gut, diese Einstellung ist wohl mit Kleinkind, das sich nach 20 Minuten Fahrradfahren (ergo still sitzen) fast vom Sitz stürzt, eher unangemessen. Sehe ich ein und gehe einfach schlafen.

Mrs. Popsock

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Mrs. Popsock

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Morgens beschließen wir, einfach zum Völkerschlachtdenkmal zu radeln und von dort aus die Radwege zu erkunden, viele Wege führen nach Rom. Stadtplan haben wir samt der Karte für Berlin dabei (Mini-me besteht darauf, und man weiß ja nie, wo man landet – kann eine Zweijährige schon spüren, wie es um den Orientierungssinn der Mutter bestellt ist?). Also geht es los – die Sonne scheint, der Wind pustet fröhlich* – wenn auch allerdings entgegen unserer Richtung – *jedenfalls denke ich das noch, als ich mich grazil auf`s Rad schwinge.
Meine Holland-Mühle ist von Natur aus eher ein Schwergewicht, mit über 15 Kilo Kind und bestimmt 10 Kilo des Kindersitzes sind wir bei fitnessstudioverdächtigen Kraftaufwänden, denen ich mir zwar bewusst bin, aber über die mich eher noch freue. Schließlich will ich beweisen, wie fit ich bin. Noch. Denn schon zehn Minuten nach Fahrtantritt sehe ich diese fiese Steigung, die in die gewollte Richtung führt. Gänge wechseln steht bei meinem Drahtesel eher ganz hinten auf der Liste, in die Gänge kommen daher leider auch. Mr. L. dampft auf seinem nigelnagelneuen Drahtesel davon und dreht sich ab und an nach mir herum. Ja, ich bin noch da, ja, ich habe Spaß. War ich der Initiator des Ganzen? Lächeln nicht vergessen.

Ich strampele was das Zeug hält, Mini-me, einfühlsam wie immer, ruft nur: Schneller Mami!“ – für sie muss sich die Tour anfühlen, wie auf einer Schnecke mit gebrochenen Beinen zu sitzen (Ähem, hat eine Schnecke Beine? Egal.) Ich keuche, ich schnappe nach Luft und habe weder Atem noch Kraft, ihr entgegenzuknurren, dass sie gerne fahren kann – puh, oben auf dem „Berg“ angekommen. Ja, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, meine Beine sind irgendwie schon ganz taub, als wir das Etappenziel erreichen. Ich werfe allen Stolz über Bord den Lenker und höre mich fragen: „Wollen wir nicht doch lieber mit der S-Bahn…?“ Ich glaube, meinen Mann kann nichts erschüttern, wenn es um mich und mein Olympiade-Talent geht. Wir radeln bergab mit Sausegeschwindigkeit zum Bahnhof. So(!) hatte ich mir das Ganze eher vorgestellt, wenn auch mit anderem Ziel als den Bahnhof.

Mrs. Popsock

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Es lohnt sich – ich trockne langsam vor mich hin, Mini-me entdeckt mit großer Begeisterung ein mit Blumen geschmücktes Fahrrad, den Zdenek Miler-Maulwurf auf einer Tasche einer Frau und schnurbst im Zug ihre Äpfelchen, die sie auch noch mit uns teilt. Eisenbahnfahren ist tatsächlich ein Erlebnis.
Noch eines ist es, in der Provinz anzukommen. Gleich am Bahnhof (nee, der existiert nicht), Bahnsteig empfangen uns Wiesenblumen. Mein Städterherz freut sich. Wir radeln auf gerader Strecke(!) durch das Dörfchen, ich entdecke die Landmetzgerei, die Saftmosterei und die Beschaulichkeit des Ortes und fühle mich gleich wie im Urlaub. Erinnert tatsächlich an die sonntäglichen Kitschfilme des ZDF.

 

Mrs. Popsock

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Als wir dann neben Obstbäumen im Garten unserer Freunde sitzen, die Kinder spielen, Mini-me das Beet fegt (auch ein Schrubber ist schließlich vielseitig einsetzbar), die noch quieke sauren Äpfel direkt vom Baum verspeist werden, merke ich, wie die Städterin in mir durchkommt. Ich fange an, alles zu knipsen, was mir dieses urige Naturgefühl gibt: Die Äpfelchen, die ultraleckeren Mirabellen, das Getreidefeld, das gleich an den Garten anschließt und versuche, die gute Landluft extratief einzuatmen. Ja, das ist für mich ein Stückchen Paradies. Dann denke ich: Die Strapazen haben sich gelohnt für einen Sonntag im Grünen. Und: Die S-Bahn fährt auch heimwärts jede Stunde, weiß Mr. L. Ohne ihn wäre ich wohl echt aufgeschmissen. Ohne die S-Bahn wohl auch.

 

Mrs. Popsock

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31. August 2013 von Mrs. Popsock
Kategorien: Aus`m Leben | Schlagwörter: , , , , , , , , | 1 Kommentar

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