Vier
Ich bin wie du. Ja das was mir als Teenie den Magen herumgedreht hätte, ist eingetroffen. Vielleicht auch, weil du in meinem Kopf bist. Ich frage mich so oft, was du gerade sagen würdest. Dann sehe ich d e n Gesichtssusdruck vor mir, höre deine Stimme, die mich wie eine Kur streichelt und bin ganz bei dir. Ok, manchmal empört sich die Stimme auch und staucht mich zusammen. Oder eben den, um den es vielleicht geht. Klar.
Vor ein paar Wochen hast du mich für den Bruchteil einer Sekunde im Traum besucht. Danach war ich wach und hab vor mich hingelächelt. Die Träume sind immer real. Ich kann dich förmlich riechen, deinen Geruch werd ich eh nie vergessen. Keine Angst, ich meine das sehr positiv. Denn Dein Geruch war immer Geborgenheit, Nähe, Stärke pur. Im Ernst – wie eine alte Frau hast du nie gerochen. Gott sei Dank. Ha, jetzt kann ich Dich lachen sehen.
Ja ich gewöhne mich daran, ohne dich zu sein. Es ist normal, dass du nicht mehr da bist. Und das ist gut so. Aber dafür trage ich dich ständig mit mir herum. Du kommentierst mein Aussehen, machst dich über meine hausfraulichen Fähigkeiten lustig und stehst mir bei, wenn ich dich brauche. Im Ernst, das tust du nach wie vor.
Nein, ich hab nicht deine Stärke. Ich hab nicht deinen Mut, in unliebsamen Situationen loszudonnern und sehr deutlich zu sagen, was ich gerade denke, ohne an die Konsequenzen zu denken. Ich habe nicht dein Urvertrauen in mich selbst. Noch nicht. Aber du bringst es mir bei. Aus der Ferne.
Ich wünschte, du könntest die beiden Minis sehen. Mini-me ist eine Prinzessin, noch dazu überempfindlich. Fast so wie ich, aber das weißt nur du. Mini#2 ist die Ronja Räubertochter dazu. Sie sieht nicht nur aus wie du, sie ist du, habe ich manchmal das Gefühl. Wenn sie einen Wutanfall hat, ist es so als würdest du wüten. Gut, du in klein und niedlich, versteht sich. Aber es ist die gleiche Energie, die gleiche Sturheit. Das gleiche Lachen. Die gleiche Wärme.
Es wird einfacher, ja. Nach vier Jahren ist das doch etwas. Aber ich vermisse es nach wie vor, den Hörer in die Hand nehmen zu können. Und ich hasse es zu telefnieren. Mit dir habe ich es geliebt. Es wwar ein Stück Zuhause in meinem Ohr. Und egal, welchen Ärger ich hatte, wie verzweifelt ich war – du hast es geschafft, mir zu zeigen, wie stark ich sein kann, wie besonders. Und dass die anderen eins können: mich am Arsch lecken. Nein, das ist nicht gewählt formuliert – es ist genau der Klartext, der mir weitergeholfen hat. Und eins war immer klar: Pleite, Job verloren, Freundin weg, Typ doof, Angst vor allem und nichts – du warst da. Von dir habe ich gelernt, was bedingungslose Liebe ist. Immer.
Ich weiß, du hast in Gedanken immer mit mir gesprochen. Mache ich heute auch. Hast dich an mir festgehalten, ich war dein Stern. Heute bist du meiner. Zusammen mit den beiden Süßen. Was ich nach wie vor gerne hätte: Das Gefühl, deine Hand zu halten. Der Tonfall, wie du selbst zu mir nach wie vor noch “Mein Kind” sagst. Wie du das aussprichst, was ich denke. Wie recht du immer hattest. Und ich es gehasst habe.
Ich weiß noch, wie es heute vor vier Jahren war. Wie könnte ich auch nicht. Die Somme hat geschienen, es war ein gigantisch schöner Tag. Wir alle standen bei dir und haben herzlich gelacht, die ganze Zeit. Rein äußerlich hast du das nicht gespürt, aber ich bin mir sicher, du hast es gefühlt. Der Abschied war unspektakulär, fast normal. Und gut so. So als würde man sich schon bald wiedersehen, obwohl jeder von uns wusste, es ist für immer. Deine Haut war kalt, du hast geschlafen. Als ich wieder hier war – hast du da durch das Küchenfenster gesehen? Wir haben Abendbrot gegessen, damals noch zu dritt. Ich war froh, noch bei dir gewesen zu sein. Ja, ich war fast glücklich. Im Nachhinein weiß ich, das muss der Moment gewesen sein, in dem du losgelassen hast. Mich losgelassen hast. Ich weiß, dass dir das am schwersten gefallen ist. Mir auch. Denn unser Band war stärker. So wie ich es mir für die beiden Minis auch wünsche.
Die nächsten Tage waren gelöst, denn es war vorbei – du warst erlöst. Und die Sonne schien durch die Blätter, und ich hatte immer das Gefühl, dass du da bist. Du warst bei mir, die ganze Zeit. Schwachsinn, ich weiß. Aber genauso war es. Es war so, als würdest du mich unsichtbar umarmen. Und jedes Jahr zur gleichen Zeit habe ich das Gefühl wieder. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein. Bestimmt sogar. Aber warum auch nicht – Hauptsache du bist bei mir. Mama.